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ALLONNES Dialog am Kicker

Im Jugendzentrum kickern junge Männer in orangefarbenen Jacken vor dem Wandbild von Nelson Mandela. Sie arbeiten als Ansprechpartner der Verkehrsbetriebe, das heißt, sie fahren mit, sie sprechen die Leute an, sie versuchen, Gewalt und Beschädigung vorzubeugen. Wir setzen auf Dialog, sagen sie, nicht auf Bestrafung. Ich habe die unbesetzten Berliner S – und U -Bahnhöfe vor Augen und die angebotenen Belohnungen, wenn man Sitzpolsterzerstörer oder Fensterzusprayer meldet. Das französische Modell erscheint mir avanciert, und Samy und Axel erklären es.

Gespräch mit Samy Hamlati und Axel Youpehe, Agents de Médiation, SETRAM.

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ALLONNES Reichtum und Kaffee

Allonnes ist reich an kommunalen Institutionen, an Sportplätzen und Kulturzentren, an Möglichkeiten, mit Ton zu arbeiten und mit Glas, Musik zu machen und zu hören, Theater zu machen und zu sehen, reich an Beratungsangeboten und Jugendclubs, Ausflügen und Kinoabenden. Verblüffend reich. „Das ist der Wille unserer Abgeordneten“, höre ich oft, „und es ist auch meine Überzeugung“, setzen alle dazu.

Nur eine Bar gibt es nicht, kein Café, kein Restaurant. Wer will, geht in die Cafeteria vom Supermarkt Leclerc im Industriegebiet zwischen Allonnes und Le Mans.

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ALLONNES Cadets de la Sarthe

Immer am Sonntagmorgen proben die Cadets de la Sarthe in der Maison des Arts. Ihre Freundschaft zum DTB Musikzug Delmenhorst gibt der Beziehung beider Städte viel Kontinuität.

Einmal darf ich zuhören. Geprobt werden: Battle of the Dinosaurs, Pixar Movie Magic, Aladdin und Kirkpatricks Muse, viel Filmmusik also, die sich gut für Blasorchester eignet.

Zur Hälfte der Probe wird Kaffee getrunken, ab jetzt auf der Tischdecke aus Delmenhorst. Die KD schicken mir dieses schöne Foto eines Kaffeepausenstillebens.

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ALLONNES An den Ufern der Sarthe

Bei der Probe der Cadets de la Sarthe lerne ich Monique kennen. Sie macht eine Wanderung mit mir. Durch sie lerne ich alles das kennen, was außerhalb der Grands Ensembles liegt: die Neubaugebiete, die Einfamilienhäuser unter Bäumen, die Feldränder, die Wege entlang der Sarthe, das alte Dorf. Im alten Dorf bilden die Häuser eine geschlossene Front zur Straße, mit langen, schmalen Grundstücken und Gärten dahinter. Das Foto zeigt das Grundstück hinter der Fleischerei. Neben der Bäckerei ist sie das einzige Geschäft in Allonnes, „und diese beiden pflegen wir“, sagt Monique. Die Fleischerei hat ein sehr vertrauenswürdiges begrenztes Angebot, ich kaufe die empfohlenen Rillettes vom Schwein und bedaure es nicht.

Monique will mir den Verlauf der Sarthe zeigen, die in die Loire fließt und mit ihr in den Atlantik. Das Handy zeigt Straßen, vielleicht noch Grenzen, aber für Flüsse muss sie sich wirklich bemühen.

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ALLONNES Auf dem Weg nach Allonnes

Wir fahren durch, wir halten nicht an, wir sind sehr schnell.

Die Wolken hängen nass und schwer. Wir passieren die Coopérative Champagne-Céréales, die führende Getreideproduktionsgenossenschaft Europas mit ihrem agro-industriellen Komplex, mit Mühlen und Mälzereien und Filialen in der Ukraine. Es ist Ende November und die gepflügten Felder liegen kalt und zeigen ihre schwarze Erde.

Wir folgen dem Tal der Marne. Eine Mutter besticht ihre Tochter mit Schokolade, damit sie „Merci“ und „Jus de pomme“ wiederholt. Auf den Weiden stehen weiß und kräftig die Charolais. An der Gare Montparnasse kaufe ich meinem Sohn einen Pullover aus bretonischer Produktion.

Noch eine Stunde nach Westen, es ist schon Abend, ich steige aus in Le Mans und beziehe mein Zimmer in einem Fachwerkhaus bei der Kathedrale. In Allonnes kann man keine Zimmer mieten, nach Allonnes fahre ich jeden Tag mit dem Bus.

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ALLONNES Le désherbage

Désherbage übersetzen die Wörterbücher ins Deutsche mit Unkrautbekämpfung oder Beikrautregulierung. Es geht darum, einige Pflanzen am Wachstum zu hindern, damit andere Pflanzen umso besser wachsen, diejenigen, die man haben möchte, um einen Auswahl- und Sortierprozess.

Dans les bibliothèques, on fait le désherbage, sagt Myriam. Dafür gibt es drei Kriterien: den materiellen Zustand des Buches, die Anzahl der Ausleihen, also ob es gefällt oder nicht gefällt, und die Obsoleszenz. Ein Roman kann niemals obsolet werden, sagt Myriam, aber andere Bücher, Reiseführer zum Beispiel. VHS-Kassetten sind technisch obsolet geworden. Kochbücher waren sehr beliebt, jetzt sind sie es nicht mehr – vielleicht sind sie nicht veraltet, es greift aber Kategorie drei der désherbage, es gibt wenig Nachfrage.

Früher habe die Idee der Pluralität die Bibliotheken geleitet, ein enzyklopädischer Anspruch: Alle Literaturen der Welt sollten zur Verfügung gestellt werden. Die Erfahrung zeige, dass sie nicht gelesen werden. Gelesen werden französische und anglo-amerikanische Romane, skandinavische auch, denn le Polar, der Kriminalroman, das geht immer. Das war es mehr oder weniger, und so werden auch Romane aussortiert bei der désherbage, obwohl sie streng genommen nicht veralten. Obwohl, sagt Myriam, manche mehr veralten als andere. Camus zum Beispiel. Sie liest gern laut. Maupassant wird nicht alt, und Proust wird nicht alt. Anzahl der Ausleihen hin oder her, Proust kann man nicht aussortieren.

Das Leben ist so schnell geworden, auch die Arbeit ist so schnell geworden. Wir arbeiten dreimal so viel wie früher. Dieser verselbständigten Beschleunigung könne man schwer entkommen. Gros lecteurs – tiefe, schwere, dicke, reiche, große Leser – habe sie nicht mehr. Einen schweren Leser nenne sie einen, der fünf Bücher in der Woche liest. Oft seien das auch Leser gewesen, die schwer schlafen konnten, aber was machen sie jetzt? In jedem Fall, die Bibliothek und Mediathek von Allonnes ist reich, reich ausgestattet, auch wenn sie nicht alle Einwohner erreicht. Das sei eine Frage der égalité: Jeder und jedem steht dieser Reichtum zur Verfügung. Wenn man will, kann man.

Foto: Ausschnitt eines Wandbildes an einem zwölfstöckigen Haus Ecke Rue Léo Delibes und Rue Emmanuel Chabrier, gemalt von Jacky, David, Samuel und Matthieu Liegeois, datiert auf den August 1988.

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ALLONNES Wintergemüse

Allonnes hat ein eigenes Theater. Gäste werden eingeladen, neue Stücke zu entwickeln und zu produzieren, die anschließend auf Reisen gehen. Axelle kümmert sich um die Gäste. Jeden Mittag kocht sie ihnen ein Mittagessen und manchmal, nach Aufführungen, auch ein spätes Abendessen. Ich bitte sie, sich ein Menü für ein Fest in Delmenhorst auszudenken. Das Fest wird im April oder Mai stattfinden. Axelle schlägt nach, was sie im vergangenen Mai gekocht hat: Mohrrüben, Kürbis, Porree, Chicorée – Wintergemüse, eindeutig. Bevor die Versorgung sich aus dem globalen Handel speiste, sei in Jahren des Mangels der Hunger in Europa im Spätwinter und frühen Frühjahr am größten gewesen. Wenn der Frühling beginnt, dauert es noch lange, bis genug wächst, das man essen kann, in Allonnes wie in Delmenhorst.

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ALLONNES In der städtischen Kantine

Jeden Mittag esse ich auf Einladung der Stadt Allonnes in der Kantine für Lehrer und städtische Angestellte. Vorspeisen stehen bereit, das Hauptgericht wird auf dem Teller serviert, Obst, Käse und Nachspeise nimmt man sich. Hierher kommt, wer nicht zu Hause zu Mittag isst. Wo wirst Du essen? Hast Du schon gegessen? Das Mittagessen fällt niemals aus, und auch für meines ist Sorge getragen.

Ich besuche die Küche, in der für alle Kindertagesstätten, Schulen, Seniorenheime und eben die Kantine gekocht wird, etwa 1000 Essen täglich, jeweils für einen bis zwei Tage im Voraus, mit Ausnahme der Gemüsesuppen, die werden an dem Tag gekocht, an dem sie gegessen werden. Alles andere soll gekühlt verteilt und am Ort erwärmt werden können.

Schwein und Rind kommen aus der Region Sarthe, das ist da, wo wir sind, der Fisch aus der Bretagne, die saisonalen Gemüse und die Kartoffeln aus der Sarthe. In ganz Frankreich gilt das Gesetz, dass 50 % der in öffentlichen Küchen verwendeten Zutaten aus der jeweiligen Gegend stammen, von Qualität und nachhaltiger Produktion zeugen müssen. Die Stadtregierung wolle, dass gutes Essen aus bäuerlicher Produktion ausgegeben wird, und es sei auch seine Überzeugung, sagt Julien Gautier, der die Küchen leitet.

Die Schulessen kosten zwischen 50 Cent und 3 Euro, je nach Einkommen der Eltern. In der Produktion kostet jedes Essen 11,36 Euro, davon entfallen 1,86 Euro auf die Zutaten, der Rest auf Personal, Elektrizität und so weiter. Ich versuche, eine vergleichbare Zahl für deutsche Städte zu finden. Angeblich kostet ein Schulessen in Berlin in der Produktion 3,25 Euro.

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ALLONNES Acht Frauen

Ich bin der erste Gast im L´Escale an diesem Nachmittag, aber bald kommen acht Frauen. Man muss sich nicht anmelden, man kommt, wenn man will. Die meisten haben Handarbeiten mitgebracht: Sie arbeiten zuhause und gemeinsam daran und füllen mehrere Koffer mit Strickmützen und Schals. Es gibt mehr Mützen und Schals, die für Frauen geeignet scheinen und bei denen man zweifelt, ob sie auch Männern gefallen könnten; darum gehen alle, die sowohl Männern als auch Frauen gefallen könnten, auf jeden Fall in den Männerkoffer. Zum Teil werden sie für den Téléthon versteigert, zum Teil Studentinnen und Studenten geschenkt, die Unterstützung brauchen. Wir teilen unsere Solidarität auf, sagt Taous. Die Frauen schenken mir einen Schal in türkis und braun.

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ALLONNES Faire l’Ecoute

Faire l´Ecoute ist etwas Anderes als Zuhören, es ist ein ritualisiertes, ausgebildetes Zuhören. Zuhören machen. Dabei hält man sich mit Ratschlägen zurück und auch damit, vergleichbare Geschichten aus dem eigenen Leben beizusteuern.

Gespräch mit Taous Boukhalfa, Leiterin des L’Escale – lieu d’accueil et d’écoute, Allonnes.