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EBERSWALDE Bücher

Literatur, die hilft, sich Eberswalde vorzustellen, hat mein Freund Lars Fischer zusammengesucht und kommentiert:

Sighard Neckel: Waldleben. Eine ostdeutsche Stadt im Wandel seit 1989, Campus 1999
Das Buch fußt auf vielen Gesprächen mit Menschen, die bis in die 1990er oder ab den 1990er Jahren Verantwortung in der Politik trugen oder sich nach der Wende für Eberswalde engagierten. Eine wohl einmalige Studie über „Elitenwechsel“ in einer Kleinstadt.

Wilhelm Bartsch: Übungen im Joch, Gedichte, Aufbau Verlag, 1986
Eine in Eberswalde aufgewachsene unverwechselbare lyrische Stimme der DDR, die auch nach der Wende etwas zu sagen hat. Das Joch auf unseren Schultern haben wir zu tragen, da gibt es kein Entrinnen, nur die Lasten, die wir mit uns schleppen, ändern sich.

Hennig Wagenbrett / Robert Louis Stevenson. Der Pirat und der Apotheker, 2012
Henning Wagenbrett ist Illustrator, von ihm stammt auch das berühmte Plakat Radfahrer haben nichts zu verlieren als Ihre Ketten.
Mit Hennig habe ich in der Schule noch Basketball gespielt. Seinen Spielwitz, seine unverhofften Wendungen und Einfälle, das genaue Passspiel mit anderen Mitspielern hat er in seine Zeichnungen übernommen – oder war es umgekehrt? Ein Vergnügen ihm zuzuschauen.

Ulrich Grumnach: Die merkwürdigen Erwachsenen. Geschichten aus Alt-Eberswalde. Stadtkirchengemeinde Eberswalde, 1993
Ein Eberswalder mit Menschenkenntnis erzählt Geschichten, die in einer Stadtchronik keinen Platz finden. Amüsant und interessant.

Museum Eberswalde/ Knut Berger: Hallo! Hallo! Hier Eberswalde. Die Versuchsstation für drahtlose Telegrafie in Eberswalde, 1998
Leider hat es Eberswalde nicht geschafft, das kleine Häuschen am Alten Finowkanal zu erhalten, aus dem die ersten Konzerte in die weite Welt live übertragen wurden. So bleiben nur Literatur und ein paar Fotografien.

Begegnungszentrum Wege zur Gewaltfreiheit (Hrsg.): Garage Wunderlich. Aus der Nische in die Mitte – 25 Jahre Jazz in E.
Jazz wurde in Eberswalde auch zu DDR-Zeiten gespielt, im Foyer des „Las Vegas“ zum Beispiel. So hieß das in den 1970er Jahren erbaute Kulturhaus zwischen Eberswalde und Finow, das um die Jahrtausendwende wieder abgerissen wurde. Conny Bauer Soloposaune, der mit seinen nachklingenden Tönen spielt, werde ich nie vergessen. In der Garage hat er auch solo gespielt. Zum Buch gibt es einen Film, „Die Aktivisten – wie der Jazz in die Stadt kam“ (Thomas Melzer und Antje Dombrowsky, D 2009). Thomas und Antje sei Dank für Buch und Film.

Hans Jörg Rafalski: Erosion. Spuren der Industriekultur im Finowtal, PapierWerken 2016
Der Titel sagt alles. Die Bilder erzählen viel.


Um Eberswalde, Chorin und den Werbellinsee. Eine landeskundliche Bestandaufnahme im Raum Eberswalde. Landschaften in Deutschland. Werte der Deutschen Heimat Band 64, Böhlau Verlag 2002
Dieser Band gehört für mich zu den Standardwerken, die in keiner Eberswalde-Bibliothek fehlen dürfen. Einen besseren Eindruck und Einblick in die Landschaft um Eberswalde gibt es bisher nicht. Und Rolf Schmidt, der die Erarbeitung des Buches geleitet hat, gehört unbestritten zu den Professoren, die die Hochschule der Stadt geprägt haben.

Aber über Eberswalde hinaus empfohlen, um ostdeutsche Provinzstädte – und das Leben in deren Plattenbauten – besser zu verstehen:
Lütten Klein von Steffen Mau über ein Viertel in Rostock
Kinder von Hoy von Grit Lemke
Franziska Linkerhand,
Brigitte Reimanns unvollendeter Roman aus dem Jahr 1974 über eine junge Architektin und die Planung von Neubaugebieten.

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EBERSWALDE Busfahrt, 1990

Beitrag von Lars Fischer

Mit dem Bus auf der Suche nach einer Partnerstadt
In meiner Erinnerung war es Ende 1990, als sich Eberswalde für eine Partnerstadt in der BRD entschied. Angeboten hatten sich wohl Minden, Neuss und Delmenhorst, oder war da noch ein Kandidat? Ich weiß es nicht mehr genau. Auf Einladung dieser Städte fuhren unterschiedliche Eberswalder Bürger – im Mai 1990 frisch gewählte Stadtverordnete und Leute wie ich, die sich im Neuen Forum oder anderen neuen Initiativen und Parteien engagierten – im Bus auf kommunalpolitische Stippvisite in den Westen, um sich ein Bild zu machen. Ich fuhr einmal mit, und zwar nach Neuss, einer von der CDU regierten Gemeinde am Niederrhein. Dort sollten wir bei Stadtverordneten zu Gast sein. Ich fand mich am Abend in einem modernen Eigenheim im Bungalowstil wieder – flach, geräumig, große Fenster, Garten. Das Wohnzimmer holzgetäfelt, ich versank in der schweren Ledercouch und kam kaum an mein Glas auf dem kniehohen Couchtisch. Mir gegenüber ein gewichtiger Mann; akkurat gekleidet in Anzug mit Krawatte und in polierten Schuhen, kein Bild einer Frau, nur dieser Mann im Sessel mir gegenüber, CDU-Stadtverordneter. Was haben wir gesprochen? Ich weiß es nicht mehr. Er hat Weißwein eingeschenkt und dessen Qualität angepriesen, das ist bei mir hängen geblieben. Und ein Gefühl, irgendwie fehl am Platz zu sein, oder war es Fremdheit? Was wir sonst noch in Neuss erlebten und worüber wir im Bus zurück nach Eberswalde sprachen, und was die Gruppe den Eberswalder Stadtverordneten berichtete, es ist wie weggeblasen. Neuss ist es ja dann auch nicht geworden.

Die Zeichnung zeigt einen Bungalow im Wald, 2008 haben wir sie genutzt für ein Wandbild im Neubau des Bundesnachrichtendienstes in der Chausseestraße in Berlin, 55 m lang, 19 m hoch.

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EBERSWALDE Selbstorganisierte Kultur

Nach 1989 hat sich kulturell alles neu sortiert. Die staatlichen Kulturhäuser und Institutionen fielen weg, viel gedanklicher Raum war neu zu besetzen. Die Bürgerrechtsbewegungen waren wichtig, die runden Tische, die Gewaltfreiheit, die theoretische Chance auf ein neutrales, waffenfreies Land. Die verschiedenen Gruppen haben sich ihre Orte gesucht.

Die Punks die Baracke am heutigen Familiengarten. Aus der Punk-Anarcho-Szene entwickelte sich das Kanaltheater. Die Feministinnen waren in der Brücke, die Indie-Rocker in der Judohalle, Jazz in E entwickelte sich aus den Wegen zur Gewaltfreiheit und der Garage. Zunächst wurde in der Kultur viel über ABMs und SAMs geregelt. Manche Gruppen begannen, offensiv Dienstleistungsstrukturen anzubieten, etwa als Träger für die Schulsozialarbeit. Die Stadt hat die freie Förderung forciert an Stelle kommunaler Institutionen.

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EBERSWALDE Provinz

Seit 2009, seit der 6. Ausgabe, heißt das Filmfest Eberswalde Provinziale.

Seitdem liegt der Fokus auf Filmen, die sich mit der Provinz beschäftigen, in denen der provinzielle Lebensraum nicht nur Kulisse ist, sondern ein Mitspieler, der die Akteure beeinflusst.

Oft gilt Provinz als negativ besetzter Begriff, und zunächst sei die lokale Resonanz auf den neuen Namen in diese Richtung gegangen: „Warum macht Ihr Euch so klein?“ – so sagt es mir Sascha, als wir im Filmfestbüro in der Eisenbahnstraße Kaffee trinken. Vielleicht stand am Anfang Ironie neben dem Selbstbewusstsein. Auf jeden Fall war es ein emanzipativer Schritt, mit dem das Filmfest sich den kulturellen Hierarchien zwischen Provinz und Metropole gegenüberstellte. Klar ist, die Provinz bietet den großen Vorteil, zum selber Machen, selber Kümmern, selber Ausprobieren zu erziehen. Sie erzieht zur eigenen Initiative und weniger zur Idee des Kulturkonsums.

Kenneth Anders schreibt im Vorwort zum Programmheft des 6. Filmfestes, in dem er den Namen Provinziale begründet:

Die Provinzen der ganzen Welt rücken zusammen wie Menschen, die einander etwas zu erzählen haben. Sie berichten, welches Leben sich abseits der großen Marktplätze abspielt.

Wer einmal gelernt hat, mit Neugier in die Provinz zu schauen, wird sich nicht satt sehen können. Es ist ein Abenteuer, eine Denkaufgabe – und ein Kaleidoskop an verschiedenen menschlichen Versuchen, das Leben gelingen zu lassen.

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EBERSWALDE Poesie der industriellen Produktion

Als erstes kam der Finowkanal, der Odergewässer und Havelgewässer verbindet. Vor dem dreißigjährigen Krieg gebaut, verwahrlost, instandgesetzt.

Mit ihm verbindet sich die Poesie der großen Eberswalder Industrie. Kupferhammer, Messingwerk, Eisenspalterei. Papierfabrik, Walkmühle und Hufnagelfabrik. Ich versuche, mir vorzustellen, was zuerst da war. Die Hufnagelfabrik hätte ich an die Anfänge der industriellen Besiedlung gelegt, aber falsch, erst um 1870 wurde eine Maschine zur Fertigung von Hufnägeln erfunden, bis dahin von Hand geschmiedet. Die Linoleumfabrik kaufte 1913 ausgerechnet der Besitzer der Delmenhorster Linoleumfabrik und legte sie umgehend still. In der großen Eisengießerei in Britz wurden Schiffsdieselmotoren gegossen und später Rotornaben für Windkraftanlagen. Die Chemische Fabrik Eberswalde stellte Tapetenkleister und Camphen her. Leuchtenbau, Rohrleitungsbau, Kranbau. Der Leuchtenbau produzierte exklusiv den Suezkanalscheinwerfer. Krane aus Eberswalde stehen in den Häfen von Kaliningrad und Korea, Vietnam und Marokko.

Zur Industriegeschichte gehören auch Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit, Reparationen und Volkseigentum, Treuhand und Abwicklung, Globalisierung und Arbeitskampf. Die chemische Fabrik stand ungefähr da, wo jetzt der Parkplatz und das Fitnessstudio sind.

Carl Blechen: Walzwerk Neustadt-Eberswalde, um 1830
Ölmalerei auf Holztafel, 25,5 × 33 cm, Alte Nationalgalerie, Berlin
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EBERSWALDE Guten Morgen Selbstbestimmung

Mit Thomas besuche ich an einem klaren, frostigen Sonnabend die 765. Ausgabe von Guten Morgen Eberswalde. Guten Morgen Eberswalde beginnt um 10:30 Uhr. An diesem Sonnabend spielt Cosmo Krause Banjo und singende Säge, tritt die Kamila Group mit einer Feuerfächer-Choreografie auf, singt der Fahlberg Chor mit uns Frühlings- und Friedenslieder. Neben den Musikern, neben denen, die etwas darbieten, steht Udo. Seit 765 Sonnabenden. Er verbindet souverän seinen Glauben an offene Angebote für alle mit seiner Erfahrung mit ausgesuchter Musik und seinem Anspruch an ein gutes Programm. „Man wird erzogen. Von Udo,“ sagt Lars dazu. Wir dürfen bleiben und auf der Parkbank an der Künstlerversorgung teilhaben, Croissants und Kaffee.

Kontinuität und Verlässlichkeit in der selbstorganisierten Kulturproduktion, das kann man hier lernen. Ich frage Udo, ob es ihn manchmal belastet, dieses große Maß an Selbstverpflichtung. Scheint nicht so zu sein, jedenfalls gibt Udo keine ordentliche Antwort, und er hat natürlich Recht: Wenn man es so will, macht man es so, und daran formt sich das eigene Leben.

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EBERSWALDE Vier Filme

Massacre

Sascha Leske und Lars Fischer, Mitglieder der Jury für den Kurzspielfilm beim Filmfest Eberwalde, haben für Delmenhorst vier Filme ausgesucht, die in den letzten Jahren beim Filmfest ausgezeichnet wurden.

LUGAR ALGUM / KEIN ORT

Der Protagonist des Films ist Nego. Er verwaltet mit Hingabe eine Kakao-Farm. Die Farm wird an eine Familie verkauft, die kein Interesse an der Produktion zu haben scheint, aber Nego ist ohnehin in die Verhandlungen von neuen und alten Besitzern nicht einbezogen. Er ist derjenige, der sich den Ort durch seine Arbeit zu eigen gemacht hat, aber der daraus keine Rechte ableiten kann.

REGIE Gabriel Amaral, Brasilien 2019, 23 min | OT Portugiesisch UT Englisch

Lobende Erwähnung – Jurypreis Kurzspielfilm bei der 17. PROVINZIALE 2020

MASSACRE / MASSAKER

Zwei Schwestern müssen ihre Heimatinsel verlassen, da sie für die Familie zu teuer geworden ist. Ihre Trauer verwandelt sich in Wut auf diejenigen, die sie zur Abreise zwingen: die Touristen. Sie helfen dabei, den Strand von giftigen Algen zu säubern. Sie rächen sich.

REGIE Maïté Sonnet, Frankreich 2020, 26 min| OT Französisch UT Englisch

Jurypreis Kurzspielfilm bei der 17. PROVINZIALE 2020

GAMOSVLA / EXODUS

Ein Film ohne Worte und ohne Musik. Die zwei Schwestern Lili und Tatiana leben zusammen in Chiatura. Der Bergbau wird eingestellt. Eine bleibt, eine geht.

REGIE Vakhtang Jajanidze, Georgien 2015, 14 min

Jurypreis Kurzspielfilm bei der 14. PROVINZIALE 2017

AMERYKA / AMERIKA

Zwei junge Mädchen leben im Dorf Ameryka. Sie nehmen sich vor, abzuhauen, sie erleben einen wilden Tag an der Landstraße, sie erleben Missbrauch und Gewalt.

REGIE Aleksandra Terpinska, Polen 2015, 30 min | OT Polnisch UT Englisch

Jurypreis Kurzspielfilm bei der 13. PROVINZIALE 2016

Ameryka
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EBERSWALDE Geschlachteter Ochse

In der Kantine des Schlacht- und Verarbeitungskombinats Eberswalde-Britz gab es ein Gemälde im Stil von Willi Sitte oder gar von ihm selber, das einen hängenden geschlachteten Ochsen zeigte, ein traditionsreiches Motiv in der Malerei. Da wurde den Arbeitern noch in der Pause bestätigt, was sie ohnehin den ganzen Arbeitstag gesehen haben, hat Lars gesagt. Das Gemälde ist nach Auflösung des Kombinats verschwunden.

Das Schlacht- und Verarbeitungskombinat Eberswalde-Britz war der größte Schweinefleischproduktions- und verarbeitungsort Europas.

Ein Paket mit Würsten vom Nachfolgerbetrieb Eberswalder Wurst und Fleisch war ein beliebtes Gastgeschenk in Delmenhorst.

Als Platzhalter für das nicht mehr auffindbare Gemälde hier „Fleischstand in Alt-Peking“ von Willi Sitte, 171 x 148 cm, Nationalgalerie Berlin.

bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders

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EBERSWALDE Pioniere

Die Birke gehört zu den Pionierbaumarten, sie ist oft der erste Baum, der auf einer Freifläche wächst. Ich habe das Bild einer Birke für Eberswalde ausgewählt, weil Torsten Stapel einen Birkenwald zwischen Finow und dem Tierpark erwähnt, dort, wo in den 70er Jahren das Brandenburgische Viertel gebaut wurde. Weil viel vom Abreißen und neu Bauen die Rede ist, von Freiflächen, Freiräumen und ihrer Inbesitznahme, physisch wie kulturell.

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EBERSWALDE Waldwissenschaft

Eberswalde ist von Wald umgeben. Die Stadt ist Standort der Hochschule für nachhaltige Entwicklung, früher weitbekannt als Forstakademie, noch früher Höhere Forst Lehranstalt. Die Berliner Universität verlegte nach wenigen Jahren ihre 1821 begründete forstliche Ausbildung nach Eberswalde, weil eine Waldwissenschaft ohne einen Unterrichtswald nicht sinnvoll zu unterrichten sei.

Die Kiefern sind weltweit die wichtigsten Baumarten in der Forstwirtschaft. Deshalb ordne ich Eberswalde eine Zeichnung einer Kiefer zu.