BORISOGLEBSK Was ich verstanden habe

Zweieinhalb Stunden lang gibt mir Olga Wassiljewna eine leidenschaftliche Führung durch das Stadtmuseum, sprachlich eine große Herausforderung. Manchmal kann ich nicht folgen; manchmal frage ich nach, manchmal ergebe ich mich dem Unverständnis. Hier ein paar Fakten, an die ich mich erinnere:

1876 bekam Borisoglebsk Anschluss an die Eisenbahn, und zwar an die Strecke Moskau – Wolgograd. Auch heute noch gibt es direkten Anschluss nach Moskau und nach Wolgograd. Damals gab es vier Sitzklassen in der Bahn, an der Farbe der Waggons abzulesen: Die erste Klasse war blau, die zweite gelb, die dritte dunkelgrün, die vierte ohne Farbe, also grau.

Im 19. Jahrhundert machte Borisoglebsk sein Geld mit dem Handel, mit Bank- und Auktionshäusern. Es gab Schuh-, Seifen- und Limonadenfabriken, eine Brauerei und eine Ölmühle. Schon vor dem Bürgerkrieg hatte die Stadt Straßenbeleuchtung. Die Kaufleute investierten ihr Geld auch in die Industrie und in die Landwirtschaft. Wir sehen das Foto einer städtischen Straße vom Beginn des 20. Jahrhunderts, wir sehen darauf Telegrafenmasten, einen Bürgersteig und Menschen mit Lederschuhen. Daran kann man den Reichtum der Stadt ablesen: Arme Menschen trugen Holzschuhe.

Katharina die Große soll ein schillerndes Verhältnis zur Leibeigenschaft gehabt haben. Sie schenkte vielen Adligen Land, und die dazugehörenden Leute. Im hiesigen Gebiet habe es wenig Leibeigenschaft gegeben. Die Schwarzerde ernährt die Menschen gut. Darum hätten hier nur wenige Bauern die Revolution unterstützt.

Eine große Erzählung über viele Räume widmet das Museum der Familie Wolkonski, die der Stadt verbunden war. Es beginnt mit Sergej Gregorjewitsch Wolkonski, einem reichen und mächtigen Fürsten, einem der Dekabristen. Die Dekabristen setzten sich für eine Beschränkung der Macht des Zaren ein und für bessere Lebensbedingungen für die Bauern. Als ihr Aufstand 1825 fehlschlug, war Wolkonski unter den 30 Adligen, die nach Sibirien verbannt wurden. Fünf Aufständische wurden gehängt, die übrigen 300 auf ihre Landgüter geschickt. Seine Frau Maria Nikolajewna folgte ihm in die Verbannung. Puschkin habe Maria Nikolajewna Wolkonski einst einen Ring geschenkt. Die Dekabristen und ihre Frauen waren Verbannte und ihrer Titel enthoben, dennoch sollen sie es geschafft haben, kulturellen und landwirtschaftlichen Fortschritt nach Sibirien zu bringen.

Dann verliere ich offenbar den Faden. Djagilew und die Ballets Russes, Stanislawskis Schauspieltheorie des inneren Erlebens, wie hängen sie mit Borisoglebsk zusammen? Mit dem späteren, dem hier ansässigen Wolkonski? Gab es da nicht auch ein estnisches Schloss in der Geschichte? Jedenfalls erinnere ich mich an ein Klavier aus karelischer Birke.